Canal du Midi

Über den bei Bordeaux in den Golf von Biscaya mündenden Fluss Garonne verbindet der Canal du Midi den nordwestlichen Teil des Mittelmeeres mit dem Atlantik. Er durchschneidet in südöstlicher Richtung Südfrankreich und war einst ein wichtiger Wasserweg. Vor 320 Jahren starb der Erbauer kurz vor der Fertigstellung des Kanals.

Als "Wunder Europas" bezeichnete der französische Festungsbaumeister Vauban den Canal du Midi. Seit mehr als 300 Jahren verbindet die 241 km lange Wasserstraße den Atlantik mit dem Mittelmeer, Toulouse und die Garonne mit dem Hafen von Sète. Mit seinen 65 Schleusen und 55 Aquädukten, einem Tunnel und 126 Brücken gilt der Kanal als technische Meisterleistung des Absolutismus. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war er der wichtigste Handelsweg Südfrankreichs und trug so maßgeblich zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung des Languedoc bei. Erst die übermächtige Konkurrenz der Eisenbahn nahm ihm seine Bedeutung. Die Frachtschiffe verschwanden und der Kanal versank in Vergessenheit. Erst in den siebziger Jahren erwachte er erst wieder aus dem Dornröschenschlaf, als ihn nämlich die Hausbootvermieter und Wassersportler entdeckten. Durch den Bootstourismus entwickelte sich wieder neues Leben auf und an dem Kanal. 1996 wurde er als Kulturdenkmal in die Unesco-Liste des Welterbes aufgenommen.

Wenn es den Begriff des Gesamtkunstwerks nicht schon gäbe: für den Canal du Midi müsste er erfunden werden. Der künstliche Wasserweg ist die vollendete Verbindung von Natur und Technik. Er ist so selbstverständlich Teil der Landschaft, dass man meint, er müsse schon immer da gewesen sein. Platanen – 45 000 Stück sollen gleich nach Abschluß der Bauarbeiten gepflanzt worden sein – die ihn über weite Strecken einrahmen bilden im Sommer einen grünen, im Herbst einen goldbraunen Tunnel. Die Bäume machen sich doppelt und dreifach nützlich: Ihre Kronen wölben sich über das Wasser und die Treidelpfade, die spenden Schatten, mindern die Verdunstung und festigen mit ihrem Wurzelwerk die Ufer. Ab und an lösen Pappeln und Zypressen die Platanen ab, verbreiten Schirmpinien mediterranes Flair.

Der Abschnitt zwischen Carcassonne und Béziers gilt als der schönste Teil des Kanals, und besonders schön wirkt er im Spätherbst. Im Oktober – wenn die Frühherbstunwetter einmal ausbleiben – ist es tagsüber (und sogar an einigen Abenden) noch sommerlich warm, aber schon herbstlich bunt. Die noch grünen, aber auch schon gelb und braun gewordenen Kronen der Platanen leuchten mit dem blauen Himmel und den sattgrün bis dunkelrot gefärbten Weinlaub um die Wette. Denn der Kanal durchquert das größte geschlossene Weinanbaugebiet Frankreichs: Languedoc-Roussillon. Nördlich des Kanals liegen die Hügel des Minervois, südlich die der Corbières. Schmale Bogenbrücken wölben sich über das Wasser, malerische Dörfer mit pastellfarbenen Häusern und wuchtigen Kirchen laden zum Anlegen ein.

Carcassonne, 1997 ebenfalls in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen, ist ein Muss. Am eindruckvollsten wirkt die von einer doppelten Ringmauer umgebene Altstadt mit ihren (angeblich) 55 Türmen allerdings von ferne, als Silhouette vor der untergehenden Sonne. Wesentlich verlockender als die Touristenlokale dort in der Cité wirken die Restaurants am Kanal, an denen man per Schiff vorbeikommt. Ab und zu zeigt sich ein Schloss, ein kleiner Hafen oder eine Hausbootkolonie. Und es gibt viele, viele Schleusen. Mit ihrer Olivenform sind sie ein Markenzeichen des Canal du Midi, ebenso wie die eindrucksvollen Aquädukte, in denen er über Flüsse geleitet wird.

Die Idee einen Kanal zu bauen, um den Seeweg vom Atlantik zum Mittelmeer abzukürzen und sich den weiten und gefährlichen Weg entlang der Pyrenäenhalbinsel und durch die Enge von Gibraltar zu ersparen, war uralt. Bis sie verwirklicht wurde, vergingen allerdings mehr als 1500 Jahre. Schon die alten Römer – Cäsar und Augustus – hatten mit der militärisch und wirtschaftlich interessanten Verbindung zwischen den beiden Meeren geliebäugelt. Karl der Große träumte von einer "fossa carolina", mehrere französische Könige machten Pläne für einen "canal royal". Der Durchbruch im doppelten Sinne gelang erst Pierre-Paul Riquet (1604 – 1680). Er löste das Problem der Wasserversorgung und überwand damit das Haupthindernis für den Bau. Riquet, Steuerpächter und Hobby-Ingenieur, hatte zufällig entdeckt, dass in den "Montagne Noir" die Wasserscheide zwischen Atlantik und Mittelmeer lag. Sammelte man das Wasser der Gebirgsbäche in einem Staubecken, ließ es sich durch einen Speisekanal zum Scheitelpunkt des Kanals weiterleiten und verteilen. Ludwig XIV. und sein Finanzminister Colbert ließen sich von dem ehrgeizigen Vorhaben Riquets überzeugen – wohl nicht zuletzt deswegen, weil der den Speisekanal als "Referenzstrecke" vorfinanzierte.

Im April 1667 begannen die Bauarbeiten für den Kanal

Pierre-Paul Riquet wurde die Leitung der Bauarbeiten übertragen. Im April 1667 begannen sie – an drei Punkten gleichzeitig. Die 118 km lange Strecke von Toulouse nach Trèbes wurde in nur fünf Jahren fertiggestellt. Und das, obwohl Riquet beim Bau noch experimentierte: Schleusen ließ er wieder einreißen, etwa weil ihn deren Form nicht überzeugte. Das Oval der Becken, für die er sich schließlich entschied, hielten am Besten dem Druck des Erdreichs stand.

Im Mai 1681 wurde der Kanal eingeweiht. Er entwickelte sich schnell zum Haupttranportweg im Südwesten Frankreichs. Handelsschiffe transportierten Kohle, Holz, Wein und Getreide. Die Postbarken erwiesen sich als echte Renner: Für die Strecke von Toulouse bis zum Etang de Thau bei Sète benötigten sie nur vier Tage, ab 1845 sogar nur noch anderthalb. Wer heute mit dem Hausboot unterwegs ist, lässt es wesentlich ruhiger angehen. Stress kommt allenfalls an den Schleusen auf, wenn die Hausbootkapitäne einparken müssen.

Die Schleusenwärter haben die Ruhe weg, die meisten Schleusen wurden noch von Hand bedient – wie vor dreihundert Jahren. Heute werden fast alle Schleusen automatisch bedient. Ab Argens-Minervois geht es ganz bequem weiter: Bis zur Wassertreppe von Fonsérannes sind es 54 schleusenfreie Kilometer. Dann geht es bergab: über die 280 m lange Schleusentreppe von Fonsérannes. Um den Niveau-Unterschied von 21,50 m zu überwinden, sind (inzwischen nur noch) sechs Schleusenkammern wie Stufen hinter- und untereinander geschachtelt. Gleichzeitig ein Panoramablick auf Béziers und seine mächtige Kathedrale. Béziers ist die Geburtsstadt Pierre-Paul Riquets, auf den nach ihm benannten Allées steht sein Denkmal. Die Fertigstellung und Eröffnung "seines" Kanals erlebte Riquet nicht mehr. Er starb, zermürbt und praktisch ruiniert am 2. Oktober 1680.